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Laudatio von Hans Hermann Henrix

28. 7. 2010

Hans Hermann Henrix (Aachen):

Kardinal Miloslav Vlk – eine Persönlichkeit von europäischem Format und ein Bischof der Einheit

Der Namensgeber des heute verliehenen Kulturpreises und sein erster Preisträger haben eine je eigene Beziehung zu Aachen: Kaiser Karl IV. (1316-1378) sah in Aachen einen religiös wie politisch bedeutenden Ort als Krönungsstätte, als Ort der Verehrung Karls des Großen wie auch als zentrale Wallfahrtsstätte im Reich und brachte dessen Rang in mehrfachem Besuch und mit beträchtlichen Schenkungen zum Ausdruck. Seine Krönung und Erhebung auf den Thron Karls des Großen am 25. Juli 1349 war der Höhepunkt dieser Beziehung des großen Kaisers des Spätmittelalters zu Aachen.1 Kardinal Miloslav Vlk, als langjähriger Erzbischof Hüter des Prager Grabs des heiligen Adalbert von Prag, hat zu Aachen als einen der ältesten Orte der Adalbertverehrung einen fast natürlichen Bezug, kennzeichnet Karl den Großen als Wegweiser für die Organisation Europas2 und steht für die von Karl IV. grundgelegte Beziehung Prag – Aachen nicht nur dadurch ein, dass er die Kulturkontakte zwischen Bürgerinnen und Bürgern beider Städte persönlich gefördert hat, sondern in einer wichtigen Aufgabe dem Aachener Bischof Klaus Hemmerle (1928-1994) gefolgt ist (siehe unten). Und genau 661 Jahre nach dem Tag der Krönung Karls IV. erhält Kardinal Vlk heute in Aachen den nach diesem Kaiser benannten Kulturpreis.

Der frühe Lebensweg vom Kardinal enthält keine Andeutung einer Analogie in den Biographien von Namensgeber und Preisträger. Er wurde am 17. Mai 1932 in Lisnice in Südböhmen geboren. Er wuchs im dörflichen Milieu auf. Von früher Kindheit an half er auf dem elterlichen Bauernhof. Als Junge fühlte er sich von einem Bild in seiner Heimatkirche angezogen, das die Frage stellte: „Willst auch du Priester werden?“; er träumte aber vom Beruf eines Piloten. Von seinen kindlichen Kriegserlebnissen berichtet er wenig. Mit 20 Jahren machte er das Abitur am Budweiser Jirsíkgymnasium. Die Realisierung seines nun gefestigten Wunsches, Priester zu werden, stellte er bewusst zurück. Die Zurückstellung dieser Berufung als eines höchst Erwünschten ist erklärungsbedürftig; sie lässt einen Grundzug dieses unverwechselbaren Lebenswegs unter kommunistischem Regime zum Vorschein kommen. In der eigenen Darstellung von Kardinal Vlk lautet die Auskunft: „Der Kommunismus wollte auf administrativer Grundlage die Tätigkeit der Kirche beschneiden. Er hat zum Beispiel einfach die Bischöfe abgesetzt. An ihrer Stelle hat er kompromittierte Priester ernannt. Sie konnte er kontrollieren, und durch ihre Einsetzung das Zutrauen der Menschen zur Kirche vernichten… Der Kommunismus steuerte selber die Ausbildung und Erziehung der Priester. Anstatt der Diözesanseminare gründete der Staat ein zentrales staatliches Seminar. Die Bischöfe sagten, wir betreten diese Seminare nicht, den Priesteramtskandidaten sagten sie, sie sollten nicht eintreten… Deshalb betrat auch ich das Seminar in den 50er Jahren nicht. Ich musste zwölf Jahre lang warten, Seminarist zu werden“ (vgl. 15). Was für eine Entschiedenheit und Standfestigkeit eines jungen Menschen, der nach seinem Abitur ein Jahr in einer Maschinenfabrik gearbeitet und den zweijährigen Pflichtdienst beim Militär absolviert hatte, zeigt sich da! Aus dieser Entschiedenheit erwuchs weder Starrsinn noch Bitterkeit, die einen Lebensweg so hemmen können. Vielmehr studierte der junge Vlk – wie er später einmal sagt – „um mich irgendwie geistig frisch zu halten“ (15) – von 1955 an Archivwissenschaft an der Prager Karls-Universität. 1960 promovierte er und arbeitete vier Jahre vor allem im Bezirks- und Stadtarchiv von Budweis. Seine fachliche und intellektuelle Kompetenz ließ ihn schnell zum Autor von Fachartikeln in verschiedenen Zeitschriften werden.3

Dieser fachliche Erfolg brachte ihn aber nicht von seiner Berufung ab. Das unerbittliche kommunistische Regime der 1950er Jahre der Tschechoslowakei lockerte sich etwas, so dass er 1964 den Posten des Archivdirektors verließ und mit Zustimmung seines internierten Bischofs an der Theologischen Fakultät zu Leitmeritz Theologie studierte. Dieser Schritt mag indirekt auch von der damaligen Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils, von der wohl auch etwas durch die Fugen und Ritze aller Abschottungen hindurch zu den Kirchen hinter dem Eisernen Vorhang drang, inspiriert gewesen sein. Wie sehr ist mir im eigenen Theologiestudium dieser Jahre die Aufbruchstimmung noch gegenwärtig. Aber dem Theologiestudenten Vlk wurde die theologische Studienzeit zur harten Schule, weil das Seminar noch in der Hand der Kommunisten war. Dort war ein Mitarbeiter des Ministeriums „Sekretär“, Rektor und Spiritual waren regimehörige Leute: „So konnten wir kein volles Vertrauen zu ihnen haben. Deshalb wurden wir sozusagen auf eigene Gefahr groß. Letztlich war das wichtig, dass wir uns auf keine Strukturen stützen konnten und auch auf keine Personen. Denn dadurch wurde unsere Beziehung zu Gott derart geformt, dass unser einziges Vertrauen Gott galt. Christus war unser Rektor und Spiritual. Unter uns gab es natürlich auch Spitzel“ (16). Angesichts dieser Studienzeit von Leitmeritz kommt mir das eigene Studium der Theologie zur gleichen Zeit in Frankfurt, Innsbruck und Münster und u.a. bei Karl Rahner, Johann Baptist Metz oder Walter Kasper wie eine Zeit behüteter Bürgerlichkeit vor. Nach Durchgang durch seine harte Schule jenseits von Bürgerlichkeit erhielt Miloslav Vlk während des Prager Frühlings 1968 – mittlerweile 36 Jahre alt geworden – die Priesterweihe und wurde Sekretär des Budweiser Bischofs Josef Hlouch. Aber die Geheimpolizei ließ nicht von ihm ab. Der junge Priester sprach junge Menschen an, die von ihm Zuspruch und Mut erhielten. Er wurde gezwungen, Budweis zu verlassen und in Böhmerwaldpfarreien Dienst zu tun. 1972 wurde er Pfarrer und wirkte in einer Weise, welche das kommunistische Regime als bedrohlich empfand. Ihm wurde 1978 von der Staatsbehörde die Erlaubnis zur Ausübung priesterlicher Tätigkeit entzogen. Der Priester Miloslav Vlk wurde zum schlichten Staatsbürger Vlk gemacht, der von 1978 bis 1988 in Prag lebte. Die ersten acht Jahre davon putzte er im Zentrum Prags Fensterscheiben. Ein erfolgreicher und vom Regime als gefährlich empfundener Pfarrer wird in das bizarre Ghetto des Fensterputzens in der Prager Öffentlichkeit gestoßen. Welch eine Durchkreuzung der Lebenspläne, welch eine Versuchung zur Resignation! Und wie sieht Kardinal Vlk selbst diese Jahre? Als „ich im Kommunismus als Fensterputzer lebte,… (habe ich die Annahme der Gefahr als Umarmung Jesu, des Verlassenen und Gekreuzigten, gelebt) und wirklich etwas sehr Schönes erlebt: Ich habe mich nämlich so gefühlt, als ob ich mich unter einem großen Felsen versteckt hätte und um mich herum tobt ein Gewitter. Ich habe mich beschützt gefühlt, ich war ganz ruhig, ich war in der Stille. Wenn man während des Gewitters unter einem großen Felsen sitzt, spürt man, man ist geschützt: Mir kann nichts geschehen. Das ist eine tiefe Erfahrung, auch dem Schmerz, der Gefahr, dem Tod so zu begegnen“ (128). Wo man ein Zermürbt-werden, eine tiefe Verängstigung oder eine kaum mehr behebbare Resignation erwarten würde, erfährt da einer sich als beschützt und wächst da ein stiller und erwachsener Mut, heimlich mit kleinen Gruppen von Laien pastoral tätig zu sein. Schließlich konnte der Staatsbürger Vlk von 1986 bis 1988 im Betriebsarchiv der Tschechoslowakischen Staatsbank in Prag arbeiten.

Was hatte der Mensch Miloslav Vlk für Reifeprüfungen bestanden, als er zum 1. Januar 1989 die Erlaubnis erhielt, wieder als Priester und Pfarrer tätig zu sein. Er erlebte gleichsam in anerkannter Position die Wende des Jahres 1989 mit und tat dies mit vertiefter Reife. Er wusste um deren Inneres. „Damit ich reifen kann, muss ich mich dem anderen öffnen. Zu meiner Reife brauche ich den anderen“ (117). Das ist für ihn, der sich in seiner Seminarzeit vor der Öffnung dem anderen gegenüber geradezu hüten musste, ein Erfahrungssatz gerade aus der kommunistischen Zeit - aller harten Schule des Misstrauens und aller Ghettoisierung als Fensterputzer zum Trotz. Er verbindet diese Erfahrung besonders mit der Fokolar-Bewegung, deren Spiritualität er in den kommunistischen Jahren mit anderen Priestern im Untergrund lebte (149). Von der Italienerin Chiara Lubich 1943 gegründet, praktiziert diese geistliche Gemeinschaft, die heute mehr als 140.000 Mitglieder in 182 Ländern hat, eine Frömmigkeit der Communio, der Einheit. Ihr biblisches Leitwort ist dem Gebet Jesu entnommen: „Lass alle eins sein“ (Joh 17,20f.). Ihre Mitglieder bemühen sich um die Communio im täglichen Leben und wollen das Evangelium als Quelle des Lebensstils in gegenseitiger Annahme und wechselseitiger Verständigung leben.

Das Verständnis der Communio schärft Kardinal Vlk zu: „Liebe ist nicht nur die Vergeltung der Liebe des anderen“ (64); „Die Liebe Gottes denkt nicht an sich selbst, sondern sieht den anderen …(und ist ganz) ohne jeden Hintergedanken“ (82) und ohne jede Selbstbezüglichkeit. Von dieser Zuschärfung her möchte man den Kardinal in sachlicher Nähe zum jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas sehen, der so tiefgründig über die Verantwortung für den Anderen nachgedacht hat und in der Liebe eine strikte Asymmetrie gesehen hat: „Ich bin Geisel für den Anderen. Geisel-Sein-für-den-Anderen ist ‚ein rauer, ein harter Name für Liebe’“.4 Das ist eine Liebe über alle Bürgerlichkeit hinaus. In der geistesverwandten Spiritualität der Fokolar-Bewegung erreicht Miloslav Vlk dann am 14. Februar 1990 die Ernennung zum Bischof von Budweis durch Papst Johannes Paul II. Am 31. März 1990 wird er zum Bischof geweiht. Es verwundert nicht, dass er – wie 15 Jahre zuvor Aachens Bischof Klaus Hemmerle – sich für Johannes 17,21 als bischöflichen Leitspruch entscheidet: „Aby všichni byli jedno“ – „Alle sollen eins sein“. Diesen Leitspruch behält er bei, als ein knappes Jahr später am 27. März 1991 die Ernennung zum Erzbischof von Prag folgt und er am 1. Juni 1991 von seinem Vorgänger Kardinal František Tomášek die Leitung der Erzdiözese übernimmt. Bald wird er zum Vorsitzenden der Tschechischen Bischofskonferenz gewählt. Papst Johannes Paul II. ernennt ihn am 26. November 1994 zum Kardinal. Als der Prager Erzbischof von 1993 bis 2001 das Amt des Vorsitzenden des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen bekleidet, ist die Hochschätzung als Bischof von europäischem Rang öffentlich geworden, die er bei seinen bischöflichen Mitbrüdern genießt. In dieser Aufgabe wirkt er beharrlich für das Einvernehmen der Kirchen Europas und arbeitet geistlich und kulturell an der europäischen Einheit. Seine Beziehung zu Aachen erfährt eine Verstetigung, als er nach dem Tod von Aachens Bischof Klaus Hemmerle 1994 diesem in der Aufgabe des Moderators der Bischöfe folgt, welche der Fokolar-Bewegung angehören. In dieser Aufgabe versammelt Kardinal Vlk nicht nur regelmäßig Bischöfe der katholischen Kirche, was ihn bis nach Thailand, Ägypten, Kamerun oder Lateinamerika führen kann. Darüber hinaus lädt er zu jährlichen Herbsttreffen Bischöfe aus den verschiedenen Kirchen der ganzen Welt zum geistlichen, persönlichen und kulturellen Austausch ein. Der Bischof von europäischem Rang ist auch ein überzeugter Ökumeniker. Europa und die Ökumene bleiben ihm Anliegen, auch nachdem er am Ostersamstag, 10. April 2010, die Leitung der Erzdiözese Prag in die Hände seines Nachfolgers Erzbischof Dominik Duka gelegt hat.

Was drängt sich aus den Begegnungen mit oder auch Zeugnissen von Kardinal Vlk besonders auf? Wenn man ihn in seinem Erzbischöflichen Palais auf der Prager Burg besuchte, so empfing er seine Besucher freundlich und mit zugewandter Zurückhaltung. Er bat sie an einen kleinen Tisch und war ganz für das Gespräch offen. Und in der Offenheit des freien Gesprächs überraschte er immer wieder mit Erfahrungen und Sentenzen von großer Weisheit. Eine kleine Zitatenlese aus dem intensiven Interviewgespräch mit dem Prager Politikwissenschaftler Rudolf Kučera möge es etwas veranschaulichen: „Wahrheit ohne Liebe kann zur Ungerechtigkeit werden“ (15); „In Europa stirbt man heutzutage nicht vor Hunger, aber man stirbt an einem Mangel an Liebe“ (42); im Verhältnis von Kirche und Staat „geht es um die Kooperation zweier unabhängiger Organismen… Von Seiten der Kirche ist es wichtig zu verstehen, dass Dienst wirklich heißt, nicht… herrschen zu wollen“ (57); „Religion wird nicht durch Informationen weitergegeben, sondern durch Formation“ (86); „Europa (ist) nicht nur ein geographischer, sondern vielmehr ein philosophischer, religiöser und vor allem kultureller Begriff“ (102); „Ich bin zutiefst überzeugt, dass Europa über die heutigen Probleme hinaus christlich bleiben oder aufs neue werden wird“ (151).

Solche Positionen bezeugen eine profilierte Persönlichkeit von europäischem Rang und Format. Einige katholische Traditionalisten haben ihn als liberalen Modernisierer angegriffen. Liberale Freigeister haben ihn einen konservativen Ewiggestrigen genannt.5 Trotz solcher gegenläufigen Etikettierungen von außen hat Kardinal Vlk in strittigen Fragen klare Position bezogen. Das gilt innerkirchlich wie über den kirchlichen Bereich hinaus. Sein Ruf als ein Bischof des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde mit seinem Einwirken auf das theologische Klima an der Prager Karls- Universität bestätigt. Dort galt in den 1990-er Jahren die theologische Fakultät als eine Bastion des Traditionalismus. Man verwehrte zeitweise Laien das Studium der Theologie. Als es dann zum Versuch der Einführung eines weithin vorkonziliaren Curriculums für das Theologiestudium kam, widerrief Kardinal Vlk 2002 nach vielen Versuchen einvernehmlicher Lösung dem für die Probleme der Fakultät hauptverantwortlichen früheren Dekan die kirchliche Lehrerlaubnis als Theologe.6 Und das Aufkommen fremdenfeindlicher Tendenzen hat er gegeißelt, als Rechtsextreme 2007 zum Jahrestag der deutschen sog. „Reichskristallnacht“, die tatsächlich eine Reichspogromnacht war, einen Marsch durch das jüdische Viertel Prags planten.7 Diese Wachheit gegenüber der Gefahr des Antisemitismus ließ ihn auch gegen judenfeindliche Äußerungen aus dem Kreis tschechischer Lefebvre-Anhänger protestieren und nach der Aufhebung der Exkommunikation der vier Weihbischöfe der Pius-Bruderschaft vom Januar 2009 die Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Grundlegung einer neuen Haltung gegenüber dem Judentum durch die Pius-Bruderschaft einfordern.8 In seinem Freimut hat er die Kontroverse mit tschechischen Politikern nicht gescheut, was an das Gegenüber biblischer Propheten zu den Königen Israels erinnert. So diskutierte er Ostern 1997 im tschechischen Fernsehen mit dem damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Václav Klaus über verschiedene Probleme der Gesellschaft. In dieser Diskussion meinte Kardinal Vlk, „dass wir eine Transformation des Herzens benötigen.“ Ministerpräsident Klaus „entgegnete, dass er keine Transformation des Herzens kenne, und meinte, der freie Markt allein werde schon die Gesellschaft und das Denken der Menschen auf eine Ethik hin ändern“ (vgl. 32). Welch ein Irrtum dies ist, hat uns die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise vor Augen geführt.

Etwas Prophetisches hat auch sein Einsatz für Verständnis und Einheit zwischen den Kirchen und den Völkern, aber auch zwischen Kirche und Staat. Noch in den letzten Wochen seines erzbischöflichen Amtes setzte er zum zwischenkirchlichen Verhältnis mit dem Besuch des Jan-Hus-Geburtshauses in Husinec ein wichtiges Zeichen. Zu Beginn seines Erzbischofsamtes hatte er eine Kommission gebildet, die den Stellenwert von Jan Hus (1370-1415) unter den Reformatoren neu bewerten sollte, um so eine schwere geschichtliche Last im interkonfessionellen, aber auch im innertschechischen Verhältnis zu bearbeiten.9 Es schmerzte ihn, dass er einen seit den 1950-er Jahren schwelenden Konflikt im Staat-Kirche-Verhältnis, den Streit um das Eigentum an der Prager St.-Veits-Kathedrale, ungelöst seinem Nachfolger im Amt weitergeben musste. In einem Interview, das er jüngst während eines Jerusalem-Aufenthalts gab, sagte er mit entwaffnender Verständlichkeit: „Eine Diözese ohne Kathedrale ist eine Diözese ohne Herz“. Der Veitsdom „mag als Krönungsort und Begräbnisstätte der böhmischen Herrscher für den Staat wichtig sein“; als Sitz der Prager Erzbischöfe sei er aber „das Zentrum der Kirche“. Mit Selbstbewusstsein fügte er hinzu: „Wir haben sie gekrönt, die Könige. Ein Erzbischof, der einen König krönt, kann nicht dessen Untermieter sein“.10

Die Pilgerfahrt nach Jerusalem kurz nach der Übergabe der Leitung der Erzdiözese Prag an seinen Nachfolger kommentiert indirekt sowohl sein Selbstverständnis als Kardinal wie auch sein Grundverständnis von Europa. Nicht ohne Stolz verwies er gelegentlich darauf, ihm als Kardinal bedeute es persönlich viel, dass seine Kardinalstitelkirche in Rom die Kirche Santa Croce in Gerusalemme ist; so schloss sich ihm mit seinem Jerusalemaufenthalt ein Bogen. Und Jerusalem hat grundlegende Bedeutung auch für sein Europa-Verständnis. Er sieht Europa auf drei Säulen ruhen: auf der griechischen Philosophie, dem römischen Recht und der christlichen Botschaft. Und die christliche Botschaft hat für ihn einen „hebräischen Ursprung“ (40), wie er ganz unbefangen sagen kann. So versteht man, dass er als Europäer neben Athen und Rom eben Jerusalem als Wurzelgrund Europas wertschätzt. Zentrum dieser kulturellen Wertschätzung ist gewiss das persönliche Verhältnis des Bischofs zu Jerusalem als Stadt Davids und als Stätte des Leidens und Sterbens Jesu von Nazareth und als Ursprungsort der Kirche in der pfingstlichen Geistsendung.

Diese kulturelle und religiöse Sicht ist offen für die großen Bögen. So war es für ihn z.B. selbstverständlich, den Vorsitz im Internationalen Preiskomitee für den Adalbert- Preis zu übernehmen, mit dem die deutsche Adalbert-Stiftung in Krefeld Persönlichkeiten ehrt, die sich in hervorragender Weise um ein dauerhaftes Zusammenwachsen ganz Europas und um ein besseres Verstehen zwischen den Völkern der sog. Adalbertländer Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn und Deutschland verdient gemacht haben. Seine Sicht wird bestimmt von dem Grundverständnis des christlichen Glaubens, der das Evangelium als einen Lebensstil gegenseitiger Annahme und wechselseitiger Verständigung zu leben und zu bezeugen versucht. Annahme und Verständigung hat Kardinal Vlk besonders für das tschechisch-deutsche Verhältnis angemahnt und praktiziert. So ist er schon viele Jahre vor der gegenwärtig in Gang seienden Öffnung der tschechischen Öffentlichkeit für eine freimütige Diskussion der Vertreibung von Deutschstämmigen aus dem Sudetenland eingetreten. Dass die geschichtlichen Ereignisse nicht genügend aufgearbeitet sind, schreibt er u.a. als Nachwirkung dem Kommunismus zu. Die Überwindung der Vorurteile ist für ihn auf eine Haltung „der gegenseitigen Vergebung, der Anerkennung der anderen Seite, ihrer Ansichten“ angelegt (27). Für das tschechisch-deutsche Verhältnis reklamiert er die Dienste der „Kirchen auf beiden Seiten“, welche die Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung zu wecken und zu fördern haben (25).11 Vielleicht ist die in Gang seiende tschechische Diskussion eine Auswirkung sowohl der beiderseitigen kirchlichen Bemühungen um Annahme und Verständigung im Verhältnis unserer Völker als auch des Besuches von Papst Benedikt XVI. im September 2009 in der tschechischen Republik. Diesen Besuch des deutschen Papstes hat Kardinal Vlk „fast wie ein Wunder“ erlebt; in einer Republik, die als sehr säkularisiert gilt und in der antideutsche Gefühle sehr wohl noch anzutreffen sind, habe man den Papst „überall sehr positiv aufgenommen… nicht nur von den Gläubigen, sondern auch von der Gesellschaft, von den Politikern“.12

Der Kulturpreis Karl IV. ehrt als ersten Preisträger eine Persönlichkeit von europäischem Format und Rang und einen „Mann des Herzens“, wie er von Katholiken der Erzdiözese Prag genannt wird.13 Man kann der Vorsitzenden und der Jury des Kulturvereins Aachen – Prag zu ihrer Entscheidung nur gratulieren. Sie ist intelligent und bestens im Wirken und in der Persönlichkeit des Preisträgers begründet. Karl IV. hätte in ihm keinen einfach willfährigen Bischof gehabt, sondern einen Priester des Freimuts und der Glaubensentschiedenheit. Hätte der Kaiser dies akzeptiert, dann wäre in seinem Gegenüber zum Bischof Größe der Größe begegnet. Wünschen wir Kardinal Vlk noch eine lange Zeit des Wirkens zugunsten der Communio zwischen den Menschen und Völkern. Damit wünschen wir den guten Segen Gottes für die Beziehung zwischen Aachen und Prag und ihren Bürgerinnen und Bürgern.

S hlubokou vděčnosti gratuluji, Vaše Eminence!

 

1 So nach und mit: Jiŕí Fajt, Karl IV. – Herrscher zwischen Prag und Aachen. Der Kult Karls des Großen und die karolingische Kunst, in: Mario Kramp (Hg.), Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos. Katalog der Ausstellung in zwei Bänden, Mainz 2000, 489-500.

2 Vgl. nur Miloslav Kardinal Vlk, Wird Europa heidnisch? Im Gespräch mit Rudolf Kučera, Augsburg 2000, 10, 44 u.ö. (Zitate aus diesem Buch werden mit Klammern im laufenden Text angegeben).

3 Dies wie auch andere biographische Hinweise in: Lebenslauf des Kardinals Miloslav Vlk:

http://www.kardinal.cz/index.php?lang=de&cmd=page&language_id=3&id=25.

4 Vgl. Hans Hermann Henrix, Selbstliebe als Maß der Nächstenliebe? Biblische und theologische Gedanken aus Judentum und Christentum: Kirche und Judentum 23 (2008) 154-165, 161f.

5 So John L. Allen Jr., The German shepherd bids farewell to a “wolf in winter”, in: http://ncronline.org/news/german-shepherd-bids-farewell-wolf-winter.

6 Vgl. ebenda und: Prager Kardinal entzieht umstrittenem Theologen die Lehrerlaubnis, in: http://www.phil.uni-sb.de/projekte/imprimatur/2002/imp020409.html.

7 Vgl. John L. Allen Jr., a.a.O.

8 Vgl.: Přetrvávající diskuze: http://www.kardinal.cz/index.php?cmd=article&articleID=321.

9 Kardinal Vlk besucht Jan-Hus-Geburtshaus in Husinec, in: http://www.cardinalrating.com/cardinal_120__article_9513.htm.

10 Vgl.: Jerusalem: Kardinal Vlk feierte Pfingstmesse im Österreich-Hospiz – May 30,2010, in: http://www.cardinalrating.com/cardinal_120__article_9798.htm. 6

11 Die Bischöfe Deutschlands und der CSFR, Worte der Versöhnung – Erklärungen (Stimmen der Weltkirche 30), Bonn o. J. (1990); vgl. auch: Werner Kaltefleier, „Der Kurs war auf Vernichtung“ – 26. November 2008, in: http://blog.kath.de/kaltefleiter/2008/11/26/mein-gewissen-ist-die-wahrheit-folge- 33/.

12 Vgl. Kardinal Vlk - das exklusive Interview - Jan 18, 2010, in: http://www.cardinalrating.com/cardinal_120__article_9482.htm.

13 So Dr. Petr Krizek, Prag, in einem persönlichen Austausch vom 1. Juni 2010.


Aby všichni byli jedno

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