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"Mehr 2012" - Europäische Gebetshauskonfernez in Augsburg

10. 1. 2012

Kardinal Miloslav Vlk – seine Zeugniss an der

Europäischen Gebetskonferenz „Mehr“

 6. Januar 2012, Augsburg

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Liebe Schwestern und Brüder,

Ich danke für die Einladung mit euch allen den Tag des Gebetes und der gemeinsamen Überlegungen zu verbringen. Es ist für mich eine große Freude über die Grenzen hinaus und in der ökumenischen Gemeinschaft vor dem Angesicht Gottes hier zu stehen und in der – so glaube ich - lebendigen Gegenwart von Jesus dem Auferstandenen zu sein, nach seinem Wort: „Wo zwei oder drei…/Mt 18,20/

Ich habe nicht vor eine theologische Vorlesung zum Thema des Tages zu halten, sondern eine Erfahrung, die wir in den schwierigen Zeiten unserer Kirche im Komunismus gemacht haben, zu erzählen…Es ist ein wenig schwierig über das Leben der Kirche unter dem Komunismus zu sprechen, weil uns das Regime unseres Landes dicht eingeschlossen hat und sehr sorgfältig alle Nachrichten über den wahren Zustand der Freiheit in der Gesellschaft und in der Kirche überwachte. Also konnten damals die Leute im Westen oft keine richtige Vorstellung von der wahren Situation bekommen…

Wie hat sich die Situation der Verfolgung entwickelt?

Sie ist dort möglich, wo eine „Vorbedingung“ gegeben ist: das Vorhandensein einer Masse gleichgültiger Menschen, die sich manipulieren lässt. Ein „ganz normaler Massenmensch“ steht am Beginn des Nazismus wie auch am Beginn des Kommunismus. In einem derartigen Umfeld konnten der Nazismus wie der Kommunismus entstehen, dort wurden ihre ersten Aktivisten „geboren“.

Gewiss, es gab auch andere Faktoren. Unsere Gesellschaft insgesamt befand sich zwar auf einem verhätnismäßig guten intellektuellen und kulturellen Niveau. Es war eine säkularisierte Gesellschaft. Die Werteordnung, das Verständnis vom Sinn des Lebens, vom Ziel des Menschen hatte keine tiefen Wurzeln, kein tiefes Fundament; es gab keine überzeugende, kohärente Vision. Es war nur immanent, ohne Vertikale, ohne Verankerung in der Transzendenz. Die meisten Menschen waren „diesseitsorientiert“, ohne Bindung an eine Religion, an die Kirche, ohne Glauben an Gott. Für eine „diesseitsorientierte“ Ideologie, die das Paradies auf Erden versprach, war das ein gutes Erdreich. Die Komunisten „predigten“ damals die großen humanistischen, universalen Slogans: Frieden, Wohlstand für alle, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft, langes Leben, Gleichheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Einheit. Es klang alles so schön. Es schien eine Antwort auf die tiefen, oft versteckten Sehnsüchte des Menschen zu sein.

Zunächst waren die Leute einfach fasziniert. Die Mehrheit war gewonnen. Dann mischte sich immer mehr eine totalitäre Ideologie hinein. Die Leute haben es zuerst zugelassen als notwendiges Mittel zur Erreichung des Zieles. Niemand hat geprüft, ob die Mittel akzeptabel waren oder nicht. Das Ziel war „klar“, von allen gewollt.

 Die Abhängigkeit der Menschen von der Staatsmacht, die die Komunisten inne hatten, wuchs immer weiter. Wer dagegen war, wurde als Feind der Nation, des Fortschrittes, als Obskurant, als Verbündeter der Staatsfeinde, der Kapitalisten bezeichnet.

Die Kirche galt als Erzfeind des komunistischen Regimes. Als Christen haben wir den ideologischen Druck und den Hass der komunistischer Diktatur oft hautnah gespürt. Manche unserer Nächsten haben ihren Glauben sogar mit dem Leben bezahlt. Viele von meinen älteren Freunden waren im Gefängnis. In den fünfziger Jahren gehörte ich zu der jüngeren Generation; deswegen blieb mir damals das Gefängnis erspart. Wir haben die unbarmherzige Ideologie auf andere Weise gespürt. Die neue kommunistische Ideologie sollte – fast wie eine Religion – alle Bereiche des menschlichen Lebens erobern und durchdringen. So war es nur logisch, dass die Kirche der größte Konkurent und Feind des Regimes war.

Am Anfang versuchte das Regime die Einheit der Kirche zu spalten und suchte Priester und Gläubige, die bereit wären mit dem Regime mitzuarbeiten im sozialen Bereich, in der Sorge für die Armen irgendwo im Ausland, im Bereich des Kampfes für den Frieden in der Welt usw. Der Angriff der totalitären Staatsmacht zielte selbstverständlich vor allem auf das eigene Leben der Kirche. In der damaligen Tschechoslowakischen Republik wurde nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahre 1948 als erstes damit begonnen, die kirchliche Hierarchie zu beseitigen. Damit wurde die 40-jährige Verfolgung der Kirche durch den Staat eingeleitet: Alle Bischöfe wurden zwangsweise aus ihren Diözesen als wichtige Punkte der Einheit entfernt. Gleichzeitig begann eine moralische Vernichtung: eine gezielte Diffamierung. Anstelle der Bischöfe setzten die Kommunisten Priester ein, die sich ihnen irgendwie verpflichtet fühlten oder in irgendeiner Weise erpressbar waren. Durch diese Personen wollten sie die Kirche manipulieren und einen Prozess der inneren Selbstzerstörung einleiten. Sie versuchten also, der Kirche ein schlechtes Image zu verschaffen und unter den Gläubigen Uneinheit zu stiften. Ein zweiter Schritt war die Zerstörung der Ordens- und Priestergemeinschaften. Da die Ordensgemeinschaften fest geschlossene Einheiten darstellten, entschlossen sich die Kommunisten bereits Anfang der 50er Jahre zu einem offenen, geradezu terroristisch anmutendem Angriff. Eines Nachts wurden die Männerklöster unter dem Vorwand überfallen, sie seien „Zentren zur Vorbereitung der Konterrevolution“. Die Klöster wurden alle geschlossen, die Ordensleute in speziellen Konzentrationslagern /mit der Beteiligung der Armee/ interniert. Als „Agenten einer fremden Macht“ stellte man die Vertreter der Orden vor Gericht. Sie wurden zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Gemeinschaft der Diözesanpriester war leider sehr schwach. Deswegen entschied sich das Regime dazu, die aktivsten Priester zu inhaftieren und die übrigen zu isolieren. Mit der Priestergemeinschaft „Friedensbewegung der katholischen Priester“ gründeten die Machthaber eine Kollaborationsorganisation. Die Priester dieser so genannten Friedenspriesterbewegung bekamen in den Medien viel Raum. Sie sollten den Eindruck erwecken, dass auch die Kirche „mitmache“ und das Regime unterstütze. Auf diese Weise konnte man jene, die nicht zustimmten, moralisch schwächen. Außerdem versprach man sich eine positive Wirkung auf das Ausland.

Die innere Zerrissenheit der Kirche wurde dadurch weiter vertieft, dass Uneinheit und Misstrauen wuchsen auch zwischen Priestern und Laien. So war die Kirche bis ins Herz getroffen: eine Kirche ohne Bischöfe, eine Herde ohne Hirten. Und damit war die dämonische Absicht erreicht: die Kirche als communio, als Gemeinschaft zu vernichten, ausgehend von ihren Führern..

Dann wurden kirchliche Aktivitäten fast ausschließlich auf die Liturgie beschränkt, und damit war eine Art „Sakristeichristentum“ erzwungen. Jugendarbeit, Vereine, soziale, kulturelle sowie sonstige Tätigkeiten wurden verboten. Ich fürchte – und ich kann den Gedanken nicht loswerden, dass in dieser Zeit unsere Sünden, oder besser die Sünde unserer Vorfahren, uns stark getroffen haben: In der Vergangenheit hat sich die Kirche selbst zu sehr in die Privatsphäre zurückgezogen, sich zu sehr von der Gesellschaft entfernt. Sie kümmerte sich manchmal nur um sich selbst und entwickelte eine Art „Privatchristentum“. Und der Kommunismus hat uns sozusagen durch unsere eigenen alten Sünden bestraft.

 Neben solchen restriktiven Maßnahmen stand die atheistische Propaganda. In den Medien wurde der Glaube als etwas Überholtes dargestellt. Die Gläubigen waren damit als rückständige Personen abgestempelt. Man wollte ein Klima schaffen, in dem man sich schämen musste, wenn man öffentlich Zeugnis für den Glauben ablegte. Besonders für einen Jugendlichen war es schwer, sich zu etwas derart „Rückständigem“ wie dem Christentum zu bekennen.

Und dann ist natürlich die allgegenwärtige Angst nicht zu vergessen. Durch Verhöre, Drohungen und Bestrafungen derer, die sich nicht an die Vorschriften gehalten hatten, wurde diese Atmosphäre der Angst von der Geheimpolizei gezielt aufrechterhalten. Da den Jugendlichen die Zukunft gehört, unterlagen sie einer besonderen Überwachung. Wer sich etwas zuschulden kommen ließ, riskierte es, nicht studieren zu dürfen. Er setzte damit die eigene Zukunft aufs Spiel.

Stark betroffen waren auch die Intellektuellen und jeder, der bewusst als Christ zu leben versuchte. Insgesamt wurde der Individualismus in der Kirche verstärkt und die Atomisierung der kirchlichen Gemeinschaft fortgesetzt. Im Kern zielte der Angriff auf die Einheit der Kirche. Die sichtbare Zugehörigkeit zur Kirche hatte aufgehört, ein soziologisch selbstverständliches Phänomen zu sein. Von jedem Christen wurde eine tiefe und oft mutige Entscheidung verlangt, die ihn zu einem Glied einer ausgegrenzten Minderheit machte.

Allmählich verstanden wir die Worte Jesajas: „Wehe denen, die um Hilfe nach Ägypten ziehen, sich auf Pferde verlassen ... Auch der Ägypter ist nur ein Mensch und kein Gott“ (Jes 31,1.3). Irgendwo hier begann die Wende, der Wandel unserer Gesinnung. Damals haben wir erfahren, dass die äußere Freiheit nicht das einzige und höchste Gut ist. Wir warteten nicht länger auf den Umsturz und suchten statt dessen den Herrn. Daraus erwuchs eine innere Freiheit, die sich nicht mehr unterdrücken ließ. Wir sahen die Ereignisse nun von einer anderen Seite, in einem neuen Licht: Gott hat seine Kirche vor allem befreit – alle ihre Güter waren ihr genommen, ihre ganze Organisation und so weiter. Wie heißt es doch in der Heiligen Schrift: „Wir sehen unsere Zeichen nimmer, und Propheten gibt es keine mehr“ (Ps 74,9). Allmählich erahnten wir Gottes Absicht mit uns: Es war eine Zeit der Wüste, ein Weg in ein neues Land. Statt auf Menschen zu bauen, fingen wir an, uns für Gott zu öffnen. Das war der Beginn einer neuen Entscheidung für Gott, der Anfang unserer „Rückkehr“. Die vorigen Erwartungen, die innere Emigration, das „Erheben der Augen zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt“ (vgl. Ps 121, 1) – all dies hatte sich verändert.

Am Anfang der so gekennzeichneten Situation, öffnete sich nach meiner Reifeprüfung mein Leben in der Kirche…Ich trug in meinem Herzen die Priesterberufung. Aber das Regime hatte alle diezösanen Priesterseminare aufgehoben und ein vom Staate bewachtes und streng kontrolliertes zentrales gegründet…Die Bischöfe, bevor sie entfernt worden waren, hatten damals abgeraten dort einzutreten. Sie waren überzeugt, dass alles bald enden würde…Wir haben damals wirklich gehofft, dass alles nur kurz dauern wird oder dass uns der Westen oder die Amerikaner, die in Deutschland da waren, befreien werden. So naiv waren wir damals. Wir haben unsere Hoffnung auf die Menschen und auf die menschlichen Kräfte gesetzt. Gott hat uns die Gnade gegeben und unseren Glauben langsam gereinigt, wie er es mit den Israeliten oft machte…

Da ich nicht dem kommunistischen Jugendverband angehörte, galt ich als eine politisch „unzuverlässige“ Person. Und so blieben mir trotz meines ausgezeichneten Schulabschlusses die Türen auch anderer Universitäten verschlossen.. Unbequeme Vertreter der jungen Generation wurden also benachteiligt, wenn nicht verfolgt. Für mich – ich war damals zwanzig – war es die erste harte Prüfung meines Lebens. Doch nach und nach wuchs in meinem Herzen eine neue Sicherheit: Ich war sicher, dass Gott auf meiner Seite stand. Viele meine Kollegen im Gymnasium waren vor der Reifeprüfung in den komunistischen Jugendverband eingetreten, um die Möglichkeit zu haben, auf die Hochschule zu kommen. Meine Erziehung und mein Gewissen verboten mir so zu handeln…Und deswegen durfte ich nicht an die Hochschule gehen…Nach der Ablegung der Reifeprüfung habe ich eine Pilgerschaft zu einem marianischen Heiligtum in unserer Region, in Südböhmen unternommen, um das Licht für meine Entscheidungen zu erbeten. Dort in der Liturgie habe ich die Lesung aus dem ersten Petrusbrief an die in Bedrängniss stehenden Christen in Kleinasien gehört: “Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist…“ /I Pe 5, 6/.

Diese Worte sind für mich in meiner ausweglosen unklaren Situation das Licht geworden. Ich habe mich auf sie gestützt. Sie haben mich besonders in den ersten Jahren des Komunismus geführt und sie gaben mir Hoffnung, als ich in der Zwischenzeit in einer Maschienenfabrik gearbeitet und dann den Militärdienst absolviert habe. Mit dem Geheimniss der Priesterberufung in meinem Herzen habe ich geduldig ausgeschaut nach der Zeit, die das Wort Gottes mir versprochen hat. Die „erste Zeit“, die erste Gelegenheit in dem Warten ist bald gekommen. Nach der ungarischen Revolution im Jahre 1956 hat sich plötzlich die Möglichkeit eröffnet an der Karlsuniversität zu studieren. Zuerst noch nicht Theologie, sondern Philosophie. Ich war immer bereit dieses Studium zu beenden, wenn die richtige Zeit käme. Das Wort Gottes gab mir immer wieder Hoffnung und Kraft zum Warten…

Es war kein leeres Warten und in dieser Situation war ich auch nicht allein. Wir traffen uns geheim und haben entdeckt, dass wir echte brüderliche Gemeinschaft brauchen, die uns stützten kann. Wir haben entdeckt, dass mehrere Jugendliche sich nach Gott, nach der Gemeinschaft sehnen und es genügte ihnen nicht, nur der bewachten Liturgie beizuwohnen. Wir haben verstanden, dass die Kirche nicht ohne echte brüderliche Gemeinschaft auf Dauer leben kann. Obzwar es damals nicht möglich war, dass unsere Gruppen einen Priester in der Mitte haben durften, um die Messe feiern, haben wir die Kraft des Wortes Gottes, des Evangeliums in unserer Hand, entdeckt und wir haben gespürt, dass Gott uns liebt und zu uns spricht. Wir waren nicht nur gute Freunde, eine gute Gemeinschaft, sondern wir haben die Nähe Gottes entdeckt im Sinne der Worte Jesu: „Wo zwei oder drei…“ /Mt 18,20/. Wir haben die Einheit nicht als eine menschliche Tatsache gelebt, sondern sie bedeutete für uns: “in Gott, in Jesus dem Auferstandenen zu sein“. Es entstand unter uns ein lebendiger „Gottes Raum“. Also Jesus nicht nur in der Kirche, im Tabernakel, sondern unter uns, wo wir versammelt waren… Es entstanden viele kleinen Gruppen in den Bergen und Wäldern, auch wenn es verboten war und ein Risiko verhaftet zu werden, wie es manchmal geschah. Es waren tiefe Erfahrungen mit dem nahen Gott, die wir auf dem Hintergrund der Unterdrückung und Verfolgung machen konnten.

 Ich muss gestehen, dass ich manchmal etwas ganz Paradoxes gespürt habe. Mitten in der Zeit der Verfolgung hatte ich innerlich öfters den Eindruck: Ich bin der freieste Mensch! Ich hatte keine Angst, was immer geschehen würde, weil ich nichts erwartete und mioch unter Gottes Schutz fühlte … Ich musste mich nicht umsehen, ob mich jemand beobachtete oder nicht … Ich war eine freie Person … Auch diese Erfahrung ist Teil der Verfolgungszeit, Teil meiner Geschichte im Kommunismus …

Dieses lange Warten war eine Gnadenzeit. Am Anfang der 60er Jahre hatten wir die Möglichkeit die ehemalige DDR zu besuchen. Wir trafen dort in Leipzig und seiner Umgebung einige junge Priester und wir haben ihnen von dem Leben der christlichen Jugend in unserer Situation erzählt. Sie waren sehr begeistert und haben uns ihre Erfahrungen erzählt. Sie haben nähmlich die Spiritualität der Fokolarbewegung wärend des theologischen Studiums in Erfurt kennengelernt. Wir waren gemeinsam sehr überrascht, wie diese Spiritualität der Einheit, Jesus in der Mitte, der Gekreuzigte und Verlassene Jesus unseren Bedürfnissen entgegenkam. Ich war glücklich über diese neue Erfahrung und Bereicherung.

Und dann, nach diesen neuen Erfahrungen kam endlich „die Zeit“. Zwölf Jahre insgesamt hatte es gedauert, bis die Zeit, auf die ich gewartet habe, gekommen war. Mein Bischof hat mir empfohlen jetzt das Studium der Theologie zu beginnen und in das Priesterseminar zu gehen. Es war das Jahr 1964, 12 Jahre nach meiner Abschlussprüfung am Gymnasium. Die Situation war dort nicht einfach, weil der Regens und der Spiritual unter dem Einfluss der Stasi standen. Unsere bisherige Erfahrung – uns nur auf Gott zu stützen – war auch für diese Situation sehr wichtig…Und die Hoffnung aus dem Petruswort „Beugt euch..“ gab mir auch hier die Kraft.

Im Jahre 1968, während des Prager Frühlings wurde ich endlich zum Priester geweiht. Ich habe es gesehen als die klare Erfüllung des Petruswortes: „Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist…“ Die Zeit war da, ich wurde Priester und ich hatte hinter mir das Studium nicht nu ran einer, sondern an zwei Fakultäten... Unser Diezösanbischof kehrte zurück aus dem Exil und ich wurde sein Sekretär. Nach der schönen Zeit des Prager Frühlings ergriffen die Komunisten wieder stärker die Macht, mich haben sie aus dieser Funktion in den Böhmerwald, in eine kleine Pfarrei verjagt. Der Bischof konnte für mich nichts machen. Bei diesem Schmerz begleitete mich nicht nur die Hoffnung des Petruswortes, sondern auch die neue Spiritualität der Fokolarbewegung, die ich inzwischen mit meinen Priesterfreunden in unseren Gruppen lebte, vor allem Jesus der Verlassene. Ich habe verstanden, dass hinter dieser Entfernung aus dem Dienst beim Bischof Jesus steht nach dem Isaiawort: Er hat auf sich nicht nur unsere Sünden, sondern auch unsere Schmerzen aufgeladen /Is 53/. Auf dem Kreuz fühlte sich vom Vater verlassen. Nach meinen Erfahrungen mit dem Wort Gottes glaubte ich, dass das auch dieses Wort Gottes wahr ist.Auch ich fühlte mich vom Gott verlassen. Jesus hat das ganze Leben lang den Vater geliebt und jetzt, in dieser entscheidenden Situation seines Leben schien ihm, dass der Vater ihn verlassen hat. Er hat den Vater weiter geliebt: „In deine Hände…“ Ich war in einer ähnlichen Situation…Und als ich dieses Kreuz umarmt habe, hatte ich darin eigentlich Jesus umarmt, der auch meine Schmerzen schon damals auf sich für mich geladen hatte. Auch er war aus der Stadt verjagt…Und diese Einstellung hat mir großen Frieden ins Herz gebracht.…In Frieden bin ich in meine neue Pfarrei gegangen und habe dort gearbeitet. Dort lebten die einfachen Leute, die Bauern und ich kam aus demselben Millieu. Sofort waren wir uns gegenseitig ganz nahe. Und auf diese Nähe und Einheit mit den Leuten waren die Komunisten sehr neidisch. Sie sagten: wenn wir etwas sagen, bewegt sich nichts, wenn aber der Pfarrer ein Wort sagt, laufen alle. Und deswegen musste ich nach 16 Monaten weg. Ausgerechnet am Tag Allerseelen kam ein Stasiman, ein sogenannter „Kirchensekretär“, er nahm mir die sogennante „Staatslizenz“ zur Ausübung der priesterlichen Tätigkeit ab und ich durfte nicht mehr die Abendsmesse für die Verstorbenen feiern, obwohl die Kirche voll war... Die Komunisten wollten ihre Macht zeigen. Es war von ihnen unvernünftig, sie hätten auf den nächten Tag warten können…Die Leute waren wütend, aber ohnmächtig…Vor der Messe habe ich kurz von ihnen Abschied genommen. Ich sagte ihnen, dass ich in der Predigt oft von dem Kreuz gesprochen habe und dass jetzt für mich der Augenblick da ist, das Kreuz zu nehmen und zu tragen und dass ich es aus der Liebe zu Jesus mache …Nach dem Gebet eines „Vater unsers“ und dem Segen verschwand ich sofort… Für mich war es wieder ein neues Antlitz von Jesus dem gekreuzigten und Verlassenen, eine neue Begegnung mit ihm, eine neue Möglichkeit ihm zu zeigen, dass ich ihn wirklich liebe und ich zeigte ihm meine Dankbarkeit für alle Gnaden, die er mir gegeben hatte…“Nimm dein Kreuz und folge mir nach…“ Mit dem Kreuz und der Hoffnung stand ich da, ohne zu wissen, was wird. Ich musste warten, ob ich eine neue Lizenz für eine andere Pfarrei bekomme. Der Bischof war inzwischen gestorben und niemand konnte für mich etwas machen… Nach zwei Wochen habe ich die neue Lizenz für eine Pfarrei in einer entfernten Ecke der Diözese bekommen, wohin ich sofort übersiedelte. Das Kreuz, Jesus der Gekreuzigte und Verlassene trug mich, er war für mich die Quelle der Kraft und des inneren Friedens. „Beugt euch in Demut unter die mächtige Hand Gottes…“

Die neue Pfarrei war grösser und wir haben sofort tiefe Beziehungen mit der Pfarrgemeinde entwickelt und vor allem eine tiefe Gemeinschaft, eine Familie der Kinder Gottes gebildet…Die Aktivitäten hatten hier ein größeres Ausmaß genommen. Ich wusste, dass die Komunisten wütend sind, aber es war notwendig mehr Gott zu gehorchen…Nach 7 Jahren kam wieder das Kreuz, diesmal ein schweres. Die Kirche war der Erhöhung des Kreuzes geweiht – es war symbolisch. Da wurde das Kreuz in mein Leben auf lange Zeit erhöht… Man hat mir die Lizenz zur priesterlichen Arbeit definitiv abgenommen. Ich musste aus der Pfarrei weg. Es bedeutete, dass ich eine Zivilarbeit suchen musste. Dagegen gab es keine Verteidigung…

Die Berufung zum Priestersein ist eine Einladung, Christus auf dem Kreuzweg zu folgen. Daher brauchte ich mich nicht zu wundern. Vom Anfang an wusste ich sehr gut, was zu tun wäre, um ein bequemes Leben zu haben. Doch dazu war ich nicht berufen. Meine Berufung war Christus auf dem Kreuzweg zu folgen. Das versuchte ich treu zu tun und dazu fehlte mir nie die Gnade und die Kraft Gottes. Und in dieser Kirche der Erhöhung des Kreuzes begann die tiefste Erfahrung meines Lebens mit Jesus, mit seinem Kreuz.

Ich bin nach Prag übersiedelt, um den Augen der Stasi besser zu entgehen. Wie einige andere priesterliche Mitbrüder habe auch ich die Arbeit eines Fensterputzers in den Prager Straßen angenommen, weil man sich bei dieser Arbeit frei auf den Straßen bewegen konnte und nicht in einer Fabrik eingeschlossen war. Und ich bin wieder stark dem Wort „beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes…“ begegnet in der Hoffnung, die es mir immer brachte…Obwohl ich viel Erfahrung mit dem Kreuz und mit Jesus dem Verlassenen hatte, fiel mir es diesmal sehr schwer dieses Kreuz zu umarmen…Es war wirklich sehr demütigend für einen Priester durch die Prager Straßen zu ziehen, in der Hitze wie in der Kälte, mit einem Eimer schmutzigen Wassers und Fetzen für die Putzarbeit bei den Auslagen der Geschäfte. Ich musste oft hart mit mir kämpfen, das Kreuz wieder anzunehmen. Hinter meinem Rücken hörte ich oft fremdsprachige Touristen, die sich interessierten, was in den Geschäften zu kaufen war. Und in meinem Herzen kam der Gedanke: aber niemand interessiert sich, dass hier ein Priester, unbekannt, verfolgt ist und leidet…Mein Herz schrie mit den Worten Jesu am Kreuz: „Mein Gott, warum…ich bin Priester und muss solche schmutzige Arbeit machen!“ Nach einer kurzen Zeit schien es mir, dass ich in meinem Herzen eine Antwort spürte: „Weil ich dich liebe…“ Es waren Worte eines bekannten Liedes. Mein Herz hat sich dagegen empört: das ist aber unmöglich Liebe. Ich habe mich dann vor das Kreuz in meinem Zimmer meditierend gestellt und nach einer Zeit begann ich langsam zu verstehen. Jesus, Gottes Sohn, auf dem Kreuz, konnte nichts machen, konnte sich nicht bewegen, keine Geste machen, fast nicht sprechen und doch in diesem Moment war er der wirklich Hohe Priester…Plötzlich begann ich zu verstehen: du stehst auch unter deinem Kreuz, kannst als Priester nichts machen, nicht öffentlich sprechen…Jetzt bist du deinem Hohen Priester Christus ähnlich. Jetzt bis du wirklich Priester…Von diesem Augenblick an begann ich jeden Tag in der Liebe mein Kreuz zu umarmen…immer wieder neu… Und ich begann meine schmutzige Fensterputzerarbeit als priesterliche Arbeit zu machen…Und in dieser Einstellung der Liebe zum Kreuz begegnete ich immer wieder Jesus, der dieses mein Kreuz mit mir trug. Es war dann die tagtägliche Begegnung mit ihm…“Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes…“ Eine wichtige Kraft für dieses tägliche Leben unter dem Kreuz, die ich im Rücken hatte, war das Männerfokolare, eine Gemeinschaft der nicht verheirateten Fokolarini, die gemeinsam lebten in dem geheimen Fokolare, das in Prag schon im Jahre 1981 gegründet worden war. Ich durfte geheim jeden Abend mit ihnen das Leben in der Einheit und mit Jesus in der Mitte leben. Jesus in der Mitte und Jesus der Verlassene waren in der fast zehnjährigen Fensterputzerzeit meine treuen Begleiter auf den Straßen, so dass ich sagen darf, dass diese Jahre meines Lebens am stärksten gnadenreich von der Nähe Jesu erfüllt waren, im Herzen tiefer Friede war und gar auch Freude…Das ist die tiefste Erfahrung mit Gott in meinem Leben…

Im Jahre 1989, ein Jahr vor der sanften Revolution, hat mir das komunistische Regime erlaubt, in eine Pfarrei zurückzukehren…Und sofort nach der Revolution kam noch eine Überraschung des Wortes „Beugt euch…“ Im Februar 1990 kam noch einmal „die Zeit der Erhöhung“, ich wurde zum budweiser Bischof ernannt. Ich dachte, dass es jetzt das Ende der Wirkung des Petruswortes sein würde, welches ich am Anfang der fünfziger Jahre bei jener Pilgerfahrt gehört hatte. Doch nach einem Jahr kam noch die Ernennung zum Prager Erzbischof…Und dann kam noch eine letzte Überraschung. Im Jahre 1994 hat mich der Heilige Vater zum Kardinal ernannt. Und damit man sicher wird, dass Gott seinem Wort treu bleibt, hörte ich bei der Lesung in der Zeremonie, angezogen als Kardinal, im großen vatikanischen Audienzsaal, total erschrocken die Worte: „Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist…“ Fast wie im Traum habe ich diese Worte vernommen…

Voll Dankbarkeit habe ich die Bitte der Organisatoren meine Erfahrungen zu erzählen angennommen, weil ich überzeugt bin, dass Gott sie vorbereitet hat und sie mich hat machen lassen, damit ich seine Liebe und Treue erzähle…Das habe ich gerade jetzt zu seiner Ehre gemacht…


Aby všichni byli jedno

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